02.PAIN

Als ich meine Augen wieder öffne, tut mir alles weh. Meine Schulter schmerzt höllisch, genauso wie mein Kopf. Wenigstens zeigt das, dass ich noch am Leben bin. Als ich mich bewegen möchte bemerke ich fesseln an meinen Händen. Kazuki! Hektisch schaue ich mich um. Soweit ich das beurteilen kann liege ich in einem Zelt. Es ist nicht sehr breit, allerdings bestimmt 1.80m hoch. Ich liege in der Mitte des Zeltes. Meine Hände sind gefesselt und ich bin an einen Holzpfahl, der in den Boden gerammt ist, gebunden. Außerdem bin ich allein. Ich versuche meine Hände leicht zu bewegen, schaffe es aber nicht. Das ist tatsächlich mal eine neue Situation für mich. Gefesselt bin ich noch nie gewesen. Ich hätte auch nie gedacht, das ich einmal Entfesslungskünste brauchen würde. Normalerweise werden keine Gefangenen gemacht. Das ist nur Ballast.

Ayame! Als ich mich wieder erinnere, dass die Männer den Bauernhof angreifen wollen, versetzt es mir einen Stich. Ich habe versagt. Und das auf ganzer Linie. Hätte ich die Männer doch nur genauso schnell bemerkt wie Kazuki. Vielleicht hätten sie uns dann nicht umzingeln könnten. Kazuki.. Hoffentlich ist er am Leben!

Meine Gedanken kreisen wirr umher, was die Schmerzen in meinem Kopf nicht gerade lindert. Ich zwinge mich dazu, Ruhe zu bewahren und tief ein und aus zu atmen. Als erstes muss ich mich befreien. Aber wie? Außer dem Holzpfahl ist das Zelt komplett leer. Was soll ich nur tun? Ich drehe mich leicht und schaffe es immerhin, mich hinzusetzen. Allerdings ist das auch nicht viel bequemer. Gerade als ich versuchen möchte aufzustehen, höre ich Stimmen. Dann wird der Eingang des Zeltes aufgeschoben und ein Mann, denn ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen habe, betritt das Zelt. Ohne ein Wort kommt er auf mich zu und bleibt genau vor mir stehen. Mein Herz klopft so laut, als würde es gleich zerplatzen. Doch ich nehme all meinen Mut zusammen: “Wo ist der Junge, der bei mir war?” Kazuki! Alles in mir hofft, dass er noch am Leben ist. Doch ich bekomme keine Antwort. Nicht eine Regung ist in dem Gesicht des Mannes zu erkennen.

Ist der Mann taub? Ich mustere ihn genauer. Seine rabenschwarzen Haare sind kurz geschnitten. Ich schätze ihn auf 19, vielleicht 20 Jahre. Aber wie bereits erwähnt: im schätzen war ich noch nie besonders gut. Seine Augen, ebenso schwarz wie seine Haare, starren mich immer noch von oben an. Was hat er nur für ein Problem? Dann kniet er sich zu mir runter. Er ist so nah, dass sich unsere Nasen fast berühren.
“Wie alt bist du?”
“Was?” Seine Stimme ist ruhig und tief.
Leise wiederholt er seine Frage: “Wie alt bist du?”
Er klingt nicht bedrohlich. Nicht neugierig. Aus seiner Stimme lassen sich überhaupt keine Emotionen raus lesen.
Perplex über die Frage antworte ich ihm ehrlich: “Ich… ich glaube 17” Der Mann nickt. Dann ist wieder Stille. Immer noch zeigt sein Gesicht keine Regung. Es ist ziemlich gruselig. Dann, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, nickt der Mann nochmal, als hätte er einen Entschluss gefasst. Er greift mit seiner Hand hinter seinen Rücken und holt ein Messer vor. Wieder einmal erfasst mich panische Angst. Ich versuche, von dem Mann weg zu rücken, schaffe es aber nicht. Ich will schreien vor Angst, aber nicht ein laut kommt über meine Lippen. Wie gelähmt starre ich auf das Messer in seiner Hand. Wird es das Letzte sein, das ich sehe?
“Warum schreist du nicht?” Überrascht schaue ich den Mann an, der mich immer noch genau beobachtet. Noch immer schnürt mir die Angst die Luft ab und ich kann nicht antworten. Ich dachte, ich wäre abgehärtet. Hätte keine Angst mehr vor dem Tod. Doch meine zweite Stimme hatte recht. Es ist alles eine Lüge. Immer noch ist das kleine, ängstliche Mädchen in mir. Noch immer hänge ich an meinem Leben. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich an meinem Leben hänge. Ich WILL Leben. Unter allen Umständen!

Die Angst weicht ein bisschen und lässt mich wieder atmen. Ich wende mein Blick von dem Messer ab und schaue den Mann vor mir in die Augen.
“Es ist feige ein gefesseltes Mädchen zu töten. Warum machst du mich nicht los und gibst mir etwas zum Verteidigen?” Die Worte hören sich entschlossener und mutiger an als ich bin. Ich bin selbst ein wenig überrascht, wie sicher ich sie ausgesprochen habe. Doch wieder regt der Mann keinen Muskel. Er schaut mich nur an. Minuten vergehen.
Dann wird das Zelt noch einmal geöffnet, und ein Manneskopf wird sichtbar: “Und, hast du dich entschieden?” Entschieden? Mich umzubringen oder was? War das nicht schon längst entschieden?
“Ich habe mich entschieden.” Endlich regt sich der Mann vor mir wieder. Ohne weiter nachzufragen verschwindet der Kopf am Eingang des Zeltes wieder.

Der emotionslose Mann hebt die Hand, in dem sich das Messer befindet. Ich schließe die Augen. Ich möchte mein eigenes Blut nicht sehen. Ich möchte nur noch, dass es schnell geht. Ob ich meine Mama wieder sehen werde? Schon viel zu lange habe ich nicht mehr an sie gedacht. Ihr langes, blondes Haar und ihr Lächeln sind zwei der wenigen Dinge, an die ich mich noch erinnere. Wobei ich nicht einmal weiß, ob die Erinnerungen echt oder nur ein Gehirngespinst sind.

Meine Augen sind zu gekniffen und ich wage es nicht, sie zu öffnen. Doch ich spüre nichts. Kein Schmerz, kein Ruck. Ich rieche kein Blut. Worauf wartet er? Ich will nicht sterben, habe mir aber immer gewünscht, dass wenn es so weit ist, es schnell und ohne Schmerzen passiert. Doch scheinbar will dieser Typ mir diesen Wunsch nicht erfüllen.
“Tse, schließe niemals die Augen, wenn jemand mit einer Waffe vor dir steht!” Verblüfft merke ich, wie sich die Fesseln an meinen Armen lockern. Überrascht öffne ich die Augen. Es geht einen Moment, bevor ich begreife was eben passiert ist. Der Mann hat meine Fesseln durch geschnitten! Ich reibe mir meine Handgelenke und starre meinen Gegenüber an, auf dessen Gesicht nun ein kleines Lächeln zu sehen ist. Nur kurz, aber lang genug, damit ich mir sicher bin, dass es keine Einbildung ist. Ist das ein Spiel? Der Mann steckt sein Messer in seinen Gürtel und schaut mich wieder kalt an.
“Ich schenke dir die Freiheit! Ich hoffe du weißt sie zu nutzen!” Mit diesen Worten dreht er sich um und verlässt das Zelt.

Verblüfft, verwirrt und überrascht starre ich immer noch auf den Zelteingang. Ist das wirklich sein Ernst? Langsam richte ich mich auf. Der Schmerz in meiner Schulter lässt mich zusammen zucken. Ich taumle leicht zurück, schaffe es dann aber stehen zu bleiben. Langsam gehe ich auf den Zelteingang zu und schlucke nocheinmal. Was, wenn das alles ein Trick ist? Irgendein krankes Spiel? Wer sagt mir, dass ich nicht von einem Pfeil durch bohrt werde, sobald ich das Zelt verlasse? Zweifel nagen an mir. Doch nachdem ich einige Minuten unschlüssig vor dem Eingang stehe, entscheide ich mich, es vorsichtig zu versuchen. Schließlich kann ich nicht ewig in diesem Zelt hier bleiben. Ich muss dringend Kazuki suchen! Langsam schiebe ich die Zeltöffnung beiseite und strecke vorsichtig meinen Kopf hinaus. Die Sonne blendet mich kurz, doch meine Augen haben sich schnell an die Helligkeit gewöhnt. Ein Blick nach links. Ein Blick nach rechts. Aber es ist niemand zu sehen. Unsicher mache ich einen Schritt vor und trete so aus dem Zelt heraus.

Was hat das alles zu bedeuten? Und wo zum Teufel bin ich? Vor mir sehe ich ca. 15-20 Zelte. Einige sind kleiner, andere größer. Als ich mich genauer Umschaue stelle ich fest, dass ich hier in einem Lager bin. Die Menschen, denen ich begegne, schauen mich skeptisch an, sagen aber nichts. Manche bleiben stehen und tuscheln. Ich gehöre hier nicht hin. Das wissen sie genauso gut wie ich. Ich habe auch nicht vor, länger hier zu bleiben. Entschlossen gehe ich auf das größte Zelt zu, dass ich ausmachen kann. Wenn mir jemand weiterhelfen kann, finde ich ihn bestimmt dort. In allen Lagern, in denen ich bisher war, hat die Person mit der größten Macht, also der Anführer, auch das größte Zelt gehabt. Also wird das hier bestimmt auch so sein. Bevor ich abhaue, muss ich Kazuki finden. Er MUSS einfach auch hier sein.

Kaum habe ich mich dem Zelt genähert kommen 2 Männer mit Speere auf mich zu.
“Du da! Genau du! Was machst du hier?”
“Hey, ist das nicht die Gefangene? Wie kommst du hier her?”
“Die Gefangene? Du meinst das Mädel das Yami hier an geschleppt hat?”
“Wie hast du dich befreit, hä?” unfreundlich schreit mich die Wache fast schon an. Was soll ich jetzt sagen? Das ein schwarzhaariger Mann mich befreit hat? Die Wachen schienen jedenfalls nichts davon zu wissen, dass ich befreit wurde. Langsam mache ich einen Schritt zurück. Meine Kopfschmerzen hindern mich am Denken. Was soll ich jetzt tun? Mit meiner verletzten Schulter werde ich kaum weit ko
mmen...
“Willst du jetzt doch abhauen? Daraus wird nichts, du kommst schön wieder…” “Was ist hier los?”
Diese Stimme… Ohne mich aus den Augen zu lassen dreht sich eine Wache halber um. Auch ich schaue nach rechts um zu sehen, wer gesprochen hat.
“Yami sama!”
Da steht er, der Mann der mich vor ein paar Minuten befreit hat. Wieder ist keine Regung in seinem Gesicht zu sehen. Aus seinen schwarzen Augen schaut er die Wache an und würdigt mir keinen Blick.
“Was ist hier los?” Ruhig wiederholt Yami seine Worte, worauf die Wache dann auch antwortet:
“Die Gefangene ist geflüchtet! Wir haben aber alles unter Kontrolle, Sir. Wir werden sie sofort wieder in ihr Zelt bringen.”
Gleich nachdem er geendet hat, kommt er mit großen Schritten auf mich zu: “Umdrehen!” Doch ich bewege mich nicht. Immer noch schaue ich zu Yami. Habe meinen Blick keine Sekunde abgewendet. Warum hat er mich her gebracht? Warum hat er mich nicht getötet? Wo ist Kazuki? Arbeitet er mit den Männern vom Wald zusammen? So viele unbeantwortete Fragen die mir durch den Kopf gehen. Und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass dieser Mann mir alle beantworten kann. Noch einmal werde ich auf jeden Fall nicht mehr in dieses Zelt gehen.
“Bist du taub?” die Wache, die vor mir steht, möchte mich an meine unverletzte Schulter stoßen, doch ich bin schneller. Ich weiche nach rechts aus, packe mit meiner rechten Hand seinen ausgestreckten Arm, mache noch einen Schritt nach vorne, sodass ich hinter ihm stehe, drehe mich und führe seinen Arm hinter seinen Rücken. Mit meinem Knie stoße ich ihn in seine Kniekehlen, so dass er leicht einknickt und sein Speer fallen lässt. Nun nehme ihn mit meinem freien, linken Arm in den Würgegriff. Dann drehe ich mich mitsamt der Wache um, sodass die andere Wache und Yami nun genau gegenüber von uns stehen. Der Mann in meinem Würgegriff dient mir nun als Schutzschild. Die ganze Aktion hat nicht länger als 3 Sekunden gedauert. Jahrelanges Training hat mein Körper einfach reagieren lassen.

Verblüfft schaut die noch freie Wache mich an. Noch immer ist keine Regung in Yamis Gesicht zu erkennen. Aber das ist mir egal. Nun beachtet er mich jedenfalls. Er wird mir meine Fragen beantworten, egal wie!
“MAKI!?! Du Biest! Lass ihn los!!”
Die noch freie Wache fuchtelt wild mit seinem Speer rum. Doch das ist mir egal. Nochmal festige ich meinen Griff um den Hals meines Gefangenen, welcher jetzt rot anläuft.
“Wenn ihr nicht wollt, dass euer Maki gleich tot umkippt, solltet ihr meine Fragen beantworten! Wo ist der Junge, der bei mir war? Und wo bin ich hier?”
Damit die beiden mich ernst nehmen, verfestige ich nochmal meinen Griff. Mein Gefangener läuft nun leicht blau an. Lange hält er das nicht mehr aus. Die noch freie Wache schaut verärgert und verunsichert zwischen mir und Yami hin und her. Dieser regt sich immer noch nicht und starrt mich nur mit seinen kalten Augen an. Was hat er nur für ein Problem? Sein Blick verunsichert mich, was ich allerdings niemals zugeben würde. Um diese Unsicherheit zu überspielen widerhole ich nochmal meine Frage:
“WO ist Kazuki?”. Nun endlich regt sich Yami. Genervt atmet er langsam aus und schließt seine Augen. Genervt?? Wut steigt in mir auf. Wenn jemand genervt sein darf, dann ja wohl ich! Sollte er nicht eher besorgt sein?

Als nächstes geht alles ganz schnell. Er öffnet seine Augen und bevor ich überhaupt reagieren kann, steht er hinter mit. Mein ganzer Körper spannt sich an, als seine kräftige Hand an meinem Arm zieht, sodass ich meine Geisel los lassen muss. Mit einem groben Ruck reist er an meinem Arm und dreht mich so einmal um meine Achse. So, dass ich ihn jetzt wieder ansehe. Wie zum Teufel hat er das gemacht? Eben stand er doch noch gegenüber von mir. Ich habe keine seiner Bewegungen wahrgenommen. Das kann doch nicht sein! Doch bevor ich mir noch mehr Gedanken darüber machen kann, wendet er sein Blick von mir ab und blafft die noch unverletzte Waffe an:
“Bring deinen Kollegen ins Krankenzelt!”
“Aber Yami sama, sollte ich nicht… “
Yamis Blick lässt mich erschaudern. Es liegt eine Bestimmtheit und Kälte darin, die einen das Blut gefrieren lässt. Der Wache scheint es nicht anders zu gehen, denn ich höre, wie er seinen Kollegen wohl hochhebt und weg schleppt. Als die Schritte nicht mehr zu hören sind, richtet sich der Blick des Mannes vor mir wieder auf mich. Die Kälte ist noch nicht ganz verschwunden, aber seine Augen sind nicht mehr ganz so böse, sodass ich mich endlich aus meiner Starre löse. Ich realisiere, dass er mich noch immer fest hält und will mich los reisen, halte aber sofort inne als er mich wütend von selbst los lässt und von sich weg stoßt:
“Was denkst du eigentlich, was du hier tust, hm? Ist das der Dank, dass ich frei gelassen hab?” Unsicher und verwirrt starre ich ihn an. Was hat er denn erwartet? Das ich einfach ohne meinen Freund gehe? Keine Fragen stelle?
Wieder kommt Wut in mir auf: “Ich hab dich nie darum gebeten mich frei zu lassen, auch wenn ich dir dankbar bin! Keine Sorge, sobald ich meinen Freund gefunden habe, sind wir hier weg!”

Wieder taktieren mich die schwarzen Augen. Dann seufzt er und fordert mich mit einer Handbewegung auf mitzukommen. Wachsam folge ich ihm in sicherem Abstand. Bereut er es jetzt doch mich freigelassen zu haben? Werde ich gleich wieder eingesperrt? Was würde ich dafür geben zu wissen, wie er eben so schnell sein konnte. Schnell verdränge ich diesen Gedanken wieder in den hinteren Teil meines Kopfes. Kazuki! Erstmal muss ich ihn finden. Schließlich war es meine Unachtsamkeit zu verdanken, dass wir in diesen Hinterhalt geraten sind.

Endlich sind wir an einem kleinen Zelt angekommen. Es ist größer als das, in dem ich gefangen war. Ohne sich nochmal um zu blicken betritt Yami das Zelt. Ich zögere kurz, folge ihm aber..
Erstaunt weiten sich meine Augen. Das Zelt ist zwar schlicht, aber sehr gemütlich eingerichtet. Überall sind kleine Pflanzen verteilt. In der Mitte steht ein kleiner Tisch mit 4 Stühlen. Weiter hinten, rechts von mir sehe ich ein Bett, gerade groß genug das ein ausgewachsener Mann darin schlafen kann. Links davon ist eine Kommode. Als mein Blick nach links schweift und ich das Bild auf der Kommode näher anschauen möchte, höre ich ein Räuspern. Ohne es zu merken bin ich stehen geblieben und habe auf alles geachtet, außer auf Yami.
Als ich ihn anblicke verdreht er kurz die Augen: “Na, alles inspiziert?” Ups. War es so offensichtlich gewesen? Beschämt richte ich meinen Blick auf den Boden.
“Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein”. Ich flüstere nur aber weiß, dass er mich gehört hat.
Er lässt sich am Tisch nieder und zeigt mir, dass ich mich ebenfalls setzen soll, was ich auch ohne zu zögern tue. Wie viel Zeit wohl seit dem Hinterhalt vergangen ist? Es ist auf jeden Fall schon wieder Tag. Hoffentlich ist den Waisen nichts passiert…Wenn ich an die ekligen Kerle denke wird mir übel.

Kurz sitzen wir beide still da. Dann erhebt Yami endlich das Wort: “Als ich dich im Wald gefunden habe, war niemand bei dir. Du warst alleine.”
“Was?” Ich war alleine? Aber wo ist dann Kazuki?? “Das kann nicht sein! Du musst dich irren! Mein Freund war bei mir als wir angegriffen worden sind!!”
“Ich kann dir nur sagen, was ich gesehen habe. Du lagst schwer verwundet auf dem Waldboden. Um dich herum lagen mehrere Männer Leichen. Ich dachte erst du bist auch tot.”
Männer Leichen… doch nichts Kazuki?? Das kann einfach nicht sein! Ich spüre Tränen in meine Augen, zwinge sie allerdings zurück. Ich darf jetzt nicht den Kopf verlieren. Es gibt keinen Beweis, dass Kazuya tot ist. Mit einem Satz stehe ich auf.
“Ich muss die Leichen sehen!”
Yami schließt die Augen und streckt sich leicht nach hinten. “Tja, ich fürchte das wird nicht möglich sein”.
Bin ich jetzt doch wieder seine Gefangene oder was? “Warum zum Teufel soll das nicht möglich sein können? Bring mich einfach zu dieser verfluchten Stelle im Wald!!!” Ich fluche eigentlich nicht aber in mir tobt ein Sturm. Versteht dieser Bastard vor mir nicht, dass es meine Schuld ist? Das Kazuki wegen mir vielleicht tot ist??

“Ich haben die Leichen vor 6 Tagen verbrannt.”.
“Vor 6 Tagen???”
“Du warst 7 Tage ohnmächtig seit ich dich gefunden habe. Und wer weiß wie lange du da schon rum gelegen bist.”
Erschrocken weiten sich meine Augen. “7 Tage????” Nein! Eine ganze Woche! Ayame!!! Der Bauernhof!!! “Ich muss sofort zurück!!!”
Ohne ein weiteres Wort stürme ich aus dem Zelt und blicke mich um. Erst jetzt wird mir klar, dass ich keine Ahnung habe wo ich bin, geschweige denn in welche Richtung ich gehen muss. Verdammt! Ich bin also wirklich auf diesen arroganten Typen angewiesen.
Mit erhobenem Haupt betrete ich wieder das Zelt. Yami hat sich nicht bewegt und beobachtet mich immer noch mit seinen kalten Augen. Als ich das Zelt betrete meine ich, kurz seine Mundwinkel zucken zu sehen. Aber sicher bin ich mir nicht. Ich setze mich wieder gegenüber von Yami an den Tisch.
“Kannst du mich bitte zurück bringen?”
“Nein”. Kalt, klar und deutlich. Seine emotionslosen Augen machen mich nur noch wütender.
Meine Hände knallen auf den Tisch. “Und warum nicht? Soll ich etwa betteln? Vor dir niederknien? Was genau willst du? Meine Freunde sind in Gefahr, wenn ich sogar tot! Ich weiß nicht, ob mein bester Freund noch lebt! Und das alles ist meine Schuld, verstehst du!? Ich MUSS schnellstmöglich zurück!!”
Stille. Ich bin kurz vor dem explodieren. Habe ich meinen Standpunkt immer noch nicht klar gemacht?
“Was bietest du an?”
“Hä?” Er richtet sich auf und lehnt sich leicht nach vorne.
“Was hast du als Gegenleistung anzubieten, wenn ich dich zurück bringe? Ich denke du vergisst, dass du bereits in meiner Schuld stehst, immerhin habe ich dir dein Leben gerettet. Ich bin dir nichts schuldig.”

Verzweiflung macht sich in mir breit. Klar. In dieser Welt gibt es nichts umsonst. Nicht einmal den Tod. Warum sollte mir dieser Kerl auch helfen. Kraftlos lasse ich mich auf den Stuhl fallen. Ich besitze keine Karte. Keine Waffe. Ich weiß nicht wo ich bin, bin dazu noch verletzt und ich bin alleine. Und das als beinahe ausgewachsene Frau. Kurz: Alleine überlebe ich vermutlich keine Woche.
“Was willst du?” Wieder flüstere ich nur. Meine Augen blicken in seine. Doch ich erkenne keinen seiner Gedankengänge. Er ist wie ein Buch, dass sich nicht öffnen lässt. Ein Buch mit 7 Siegeln.
“Du wirst meine Dienerin.”
“WAS?” Meine Gesichtszüge entgleisen. Dienerin?
“Du hast schon richtig verstanden. Du wirst für unbestimmte Zeit meine Dienerin. Dafür bringe ich dich zurück damit du tun kannst was immer du tun musst. Danach wirst du allerdings wieder mit mir zurück kommen. Du wirst mir loyal zur Seite stehen und ohne zu murren tun was ich dir sage.”
Ich bin zu geschockt um nur ein Wort zu sagen. Auf meiner Reise habe ich schon öfters Dienerinnen gesehen. Frauen, die zu schwach sind um alleine zu überleben und sich deswegen an einen Mann binden. Oder an eine Gruppe Männer. Sklavinnen ohne freien Willen. Spielzeuge und wertlose Gegenstände. Nichts weiter.
Meine Augen verengen sich: “Niemals! Lieber würde ich sterben!”
Yami lehnt sich wieder zurück. “Ich werde dich nicht aufhalten”.

Herausfordernd schaue ich in seine Augen. “Ich finde bestimmt auch jemand anders der mich zurück bringt”.
“Das wird nicht möglich sein”.
“Und warum nicht”?
“Weil ich dich alleine gefunden habe”.
Kurz rattert es in meinem Kopf. Er hat mich alleine gefunden. Das bedeutet, keiner weiß, wo ich hinwill. Der Ort hat keinen Namen. Es ist immer “der Bauernhof” oder “unser Wald”. Und alle Waisen wissen, welcher Ort damit gemeint ist. Hier kann natürlich keiner etwas damit anfangen. Bin ich wirklich auf diesen Typen angewiesen? Angestrengt suche ich nach einem Ausweg. Aber es will mir keiner so recht einfallen.
“Rein theoretisch, nicht dass ich vorhabe deinem idiotischem Vorschlag zuzustimmen, aber rein theoretisch, was würdest du von mir als deine Dienerin erwarten und verlangen?”
Yami scheint kurz zu überlegen und antwortet dann ruhig:
“Du wirst mich auf meinen Reisen begleiten. Ich habe gesehen, dass du Kämpfen kannst das ist von Vorteil. Allerdings werde ich dich trainieren, damit du mir nicht zu Last fällst. Außerdem wirst du mich dabei unterstützen, mein Ziel zu erreichen….”
Er macht eine Pause. Er will mich trainieren? Ich erinnere mich kurz wieder an seine rasend schnelle Bewegung. Noch immer frage ich mich, wie er das gemacht hat. Ob ich so was dann auch könnte? Doch schnell sammle ich mich wieder. Es kommt nicht in Frage, dass ich mich verkaufe! Niemals!! Und doch bin ich neugierig…
“Was ist dein Ziel?”
“Die absolute Macht.” Kurz meine ich, einen dunklen Schleier hinter seinen Augen zu sehen.
“Macht? Warum?”
“Das hat dich nicht zu interessieren.” BAM. Unfreundlicher hätten die Worte kaum sein können. Wieder sitzen wir uns schweigend gegenüber.
“Warum sollte ich mich darauf einlassen?”
“Weil du sonst innerhalb weniger Tage Tod oder in den Fängen von irgendwelchen Perversen wärst.”
“Und du bist nicht so ein Perverser?” Ups. Die Frage wollte ich eigentlich gar nicht stellen. Aber seit seinem Angebot bekomme ich das Bild von den Sex Sklavinnen nicht mehr aus meinem Kopf.
Lachen. Überrascht starre ich ihn an. Er lacht! Seine Augen sind immer noch kalt und unberechenbar, aber aus seinem Mund kommen lachende Laute.
“Wenn ich so einer wäre, hätte ich dir vorhin nicht die Freiheit geschenkt, sondern dich vergewaltigt. Und ich würde dir jetzt wohl kaum die Wahl lassen.”. Ich schlucke einen fetten Klos runter.
Was soll ich tun? Kann ich ihm vertrauen. “Ich werde…” Yami bedeutet mir still zu sein und richtet seinen Blick Richtung Zelt Eingang.
“Ich sagte ich will nicht gestört werden!”
Der Eingang bewegt sich und ein Mann mittleren Alters erscheint. Stramm und gehorsam steht er in einer Rüstung wie ich sie zuvor auch schon bei den Wachen gesehen habe da. In der linken Hand hält er einen Speer. Linkshänder. Wie ungewöhnlich!
“Tut mir leid Yami sama, aber Shigekazu wünscht euch unverzüglich zu sprechen.”.
Ohne ein weiteres Wort erhebt sich Yami und geht Richtung Ausgang. Die Wache verlässt das Zelt, doch er hält nochmal kurz inne und dreht sich zu mir um:
“Mein Angebot steht bis morgen früh.”. Dann verlässt er das Zelt ohne ein weiteres Wort.
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