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Herbst 2029 - 17 Jahre nach der Katastrophe
Im Schutz der Bäume sitze ich im Gras und beobachte eine handvoll Menschen, die fleißig Äpfel ernten.
In den letzten Jahren haben viele Menschen damit angefangen Obst, Gemüse und sonstige Lebensmittel anzubauen.
Auch Menschen, die davon eigentlich keine Ahnung haben. Von dieser Familie, die ich gerade beobachte, weiß ich zum Beispiel, dass sie die Plantage erst seit kurzem haben. Der vorherige Besitzer war ein netter, alter, einsamer Mann gewesen. Er hatte selbst nicht viel zu essen gehabt, doch trotzdem hatte er uns Waisen immer unterstützt. Die Leute, die nun versuchen die Apfel zu ernten, sind seine Mörder. Ich weiß es, denn ich habe es gesehen. Gerade fliegt ein Junge vom Baum und automatisch grinse ich. Idiot. Hoffentlich hat er sich etwas gebrochen. Vielleicht steht er gar nicht mehr auf. Hoffnung macht sich in mir breit. Noch immer hasse ich das Töten. Doch in der heutigen Welt ist es unumgänglich. Töten oder getötet werden. "Waaauuuuuu" Das Signal! Ich schleiche mich in Richtung Plantage - leise und vorsichtig, so wie ich es mir selbst angeeignet habe. Bäume dienen mir als Schutz, um nicht gesehen zu werden. Als ich mich um blicke, erkenne ich noch andere Waisen. Ich kenne sie nicht alle, doch wir haben das gleiche Ziel: Rache. Die meisten von uns haben nur durch die Güte des alten Mannes überlebt. Ich ziehe mein Messer aus meinem Gürtel. Es ist klein, leicht und scharf. Ich betrachte die scharfe Klinge genauer. Wie oft hat sie mir schon das Leben gerettet? Und wie viele Leben habe ich in den letzten Jahren schon mit ihr nehmen müssen? Solange ich denken kann, begleitet mich dieses Messer schon. Kurz betrachte ich den Vogel, der auf dem Griff eingraviert ist. Freiheit. Ich seufze. Jetzt ist nicht der richtige Moment, um sich über so etwas Gedanken zu machen. "Waaauuuuuu" noch einmal das Signal. Es geht los! Gleichzeitig stürmen wir aus allen Richtungen auf die Familie zu. Es geht nicht lange. Nur wenige Sekunden. Blut spritzt, Schreie ertönen. Dann ist alles vorbei. Der Überraschungsangriff ist geglückt, die Familie hat keine Möglichkeit gehabt, sich so schnell zu verteidigen. Ich schaue mich um und zähle 7 Leichen. Darunter ein Kind, vielleicht 4 Jahre alt. Ich beiße mir auf die Lippen. Das Kind hätte nicht hier sein dürfen. Ich stecke mein sauberes Messer wieder in meine Tasche. Heute hab ich es nicht gebraucht - zum Glück. Ich war von Anfang an gegen einen Racheakt gewesen. Aber unter den Waisen gibt es ein Gesetzt: “Einer für alle und alle für einen.” Es ist das einzige Gesetzt. Und es muss unter allen Umständen eingehalten werden. Sonst gehört man nicht mehr dazu. Und alleine gegen die Welt hat man keine Chance. Mit 11 haben mich andere Waisenkinder aufgegabelt. Ich war abgemagert, schwach und psychisch am Ende. Durch die Gruppe bin ich noch am Leben. In den letzten 6 Jahren habe ich nicht nur gelernt mich und andere zu verteidigen und Essen zu beschaffen. Nein. Ich habe gelernt was “Familie”, “Zusammenhalt” und “Leben” bedeutet. “GESCHAAAFFFT!! Haha! Leute, das war Klasse!!!”. Lian, der Älteste von uns, klatscht in die Hände. “Ab heute übernehmen wir dieses Gebiet. Es wird unser neues Zuhause sein!” glücklich und zufrieden lächelt er einen nach dem anderen an. Dann wird sein Blick ernst und traurig: “Doch zuerst wollen wir den alten Mann mit einer Schweigeminute ehren. Schließt eure Augen!”. Auch ich tute wie gesagt. Ein Bild des alten Mannes taucht in meinen Gedanken auf. Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Die Leichen werden auf einen Haufen geworfen und angezündet. Der Geruch von verbranntem Stoff und Fleisch liegt in der Luft. Vor ein paar Jahren wäre mir bei diesem Anblick schlecht geworden. Ich hätte geweint und geschrien. Doch die Jahre haben mich abgehärtet. LÜGE! Eine zweite Stimme in meinem Kopf schreit das Wort gerade zu heraus. LÜGE! Noch einmal. Ich schüttle meinen Kopf. Diese Stimme darf nicht die Überhand über mich gewinnen. “Hey, Luana, alles in Ordnung?” Ertappt zucke ich zusammen. Als ich mich umdrehe schaue ich in die besorgten, blauen Augen von Kazuki. Auch er ist ein Waise. Wir sind im gleichen Alter und fast zur gleichen Zeit von der Gruppe aufgenommen worden. Er ist einer der wenigen, mit denen ich öfters rede. Auch über sehr persönliche Dinge, die ich sonst niemanden anvertraue. Er weiß auch von der zweiten Stimme in mir. Aufmunternd lächle ich ihn an. Er soll sich keine Sorgen um mich machen. Niemand sollte das! “Klar, alles okay! Gehen wir nachher zusammen auf die Jagd?” An seinen hochgezogenen Augenbrauen erkenne ich genau, dass er mir nicht glaubt. Doch er fragt nicht weiter nach, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Er weiß, dass ich es ihm früher oder später erzählen werde. “Klar, ich klärs mit Lian ab. Warum wartest du nicht schon mal am Waldrand?” Ich nicke ihm zu und sehe ihm nach, bis er das Bauernhaus, in dem sich vermutlich Lian aufhält, betritt. Lian ist nicht nur der Älteste von uns, sondern auch so etwas wie unser Anführer. Durch ihn sind wir alle zusammen gekommen. Er hat uns versorgt, als wir es nicht konnten. Er kümmert sich um uns alle, bringt uns das kämpfen bei und zeigt uns, wie wir überleben können. Ich weiß, dass sehr viele Waisenjungen zu ihm aufblicken oder ihn sogar verehren. Die Mädchen himmeln ihn an. Auch wenn er, wie wir alle, nichts besonderes an hat muss ich zugeben, dass er ganz gut aussieht. Er ist groß, schlank, muskulös, hat dunkle Haare und intelligente, braune Augen. Viele sehen in ihm eine Art Vater, den sie nie hatten. Und ich? Ich sehe ihn einfach nur als Anführer, der die Gruppe zusammen hält. Mit einem letzten Blick auf den brennenden Leichenhaufen überquere ich die Plantage und gehe in Richtung Waldrand. Viele Waisen sitzen hier, lachen und essen die bereits geernteten Äpfel. Als ich den Waldrand fast erreicht habe sehe ich eine Gruppe jüngerer Waisen auf mich zu kommen. Ayame, ebenfalls eine der Älteren, führt die Gruppe an. Ihre langen braunen Haare hat sie zu einem Zopf geflochten. Die Sommersprossen in ihrem Gesicht lassen sie jung und lebhaft wirken. In meinen Augen ist sie wunderschön. Doch nicht nur das: Sie ist fürsorglich und liebt Kinder über alles. Wie eine Mutter kümmert sie sich um uns, sorgt sich wenn wir krank sind, kocht für uns und besorgt uns Sachen zum Anziehen. Die jüngeren Kinder haben wir vor dem Angriff in ein sicheres Versteck im Wald gebracht. Es wäre zu gefährlich für sie gewesen. Momentan sind es immerhin 5 Kinder unter 10 Jahren. Ab 13 werden sie lernen, wie man mit einer Waffe umgeht. Dann werden sie zum ersten Mal töten müssen. Es ist der Abschluss der Ausbildung, die alle Waisen in der Gruppe absolvieren müssen. Jeder muss sich und die Anderen verteidigen können. Als die Gruppe mich erreicht hat, lächelt Ayame mich an: ”Luana, schon wieder bereit zum Jagen?” Manchmal habe ich das Gefühl, Ayame weiß immer über alles bescheid. Keiner kann ihr etwas vormachen. Selbst in den alten Sachen, die sie an hat, sieht sie wunderschön aus. Ich werde leicht rot. Ich bewundere sie einfach. “Ja, Kazuki klärt es gerade mit Lian ab..” Ihre Augen strahlen mich fröhlich an. “Da wird Lian bestimmt nicht nein sagen. Ein bisschen Fleisch hebt die Stimmung, nicht war?” Ohne eine Antwort abzuwarten fährt sie fort: “Da fällt mir ein, ich habe noch etwas für dich!” Verwundert schaue ich sie an. Ein Geschenk? Wir Waisen haben nicht viel und alles wird untereinander geteilt. So etwas wie Geburtstage gibt es nicht. Niemand hat seinen “eigenen” Besitz. KEINER AUßER DU. Stimmt… Ich schiele leicht zu dem Messer in meiner Tasche, welches ich schon seit meiner Kindheit bei mir trage... Ayame lacht, als sie mein Gesicht sieht. “Keine Sorge, es wird dir gefallen!” Sie kramt in ihrer Tasche, die sie meistens zum Sammeln von Kräutern verwendet und reicht mir ein Paket. Es ist mit Blätter verbunden. Auffordernd streckt sie es mir entgegen. Noch nie habe ich ein Paket erhalten. Schon fast ehrfürchtig nehme ich es entgegen und betrachte es genauer. Es ist leicht und fühlt sich weich an. Doch nicht etwa… neue Kleider? Verwundert schaue ich Ayame an, die einen Zeigefinger auf den Mund legt. “Psssssssscht! Mach es im Wald auf, wenn du allein bist.” “Aber.. das kann ich nicht annehmen!” Kleidung ist sehr wertvoll unter uns Waisen. Viele müssen jahrelang in den gleichen Sachen herum laufen. Nur selten gibt es Neue. Ayame zwinkert mir zu und geht dann mit den Kindern weiter: “Ich bestehe darauf! Viel Spass beim Jaaaagen!” Die Kinder hinter ihr lachen und albern umher. Sie wissen, dass sie heute ein neues Zuhause bekommen. Nocheinmal denke ich an den Leichenberg, der inzwischen unkenntlich sein müsste. Die “Erwachsenen” werden schon aufpassen, dass die Kinder ihn nicht zu Gesicht bekommen. Gerade als ich das Paket weg gepackt habe, kommt Kazuki um die Ecke. “Aaah, da bist du ja! Ich hab mit Lian gesprochen, er meint wir können jagen, sollen aber vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein.” mein Blick geht nach oben Richtung Sonne und Kazuki folgt diesem. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen haben wir 3 Stunden. Das ist nicht gerade viel, sollte aber reichen. Ich nicke Kazuki zu und wir betreten zusammen den Wald. Kaum sind wir ein paar Meter gelaufen herrscht Stille um uns. Die Bäume verschlingen jegliche Geräusche. Nur vereinzelnd dringen Lichtstrahlen durch die Baumkronen zu uns herab. Kazuki reicht mir einen der beiden Bögen und Pfeilköcher, die er uns besorgt hat. Es ist eine angenehme Abwechselung zu jagen. Alles ist still, auch wir beide sagen kein Wort. Schließlich wollen wir unsere Beute nicht warnen. Nach ca. ein einhalb Stunde haben wir ein Reh gesichtet. Kurz darauf liegt es von einem Pfeil durchbohrt vor uns. Kazuki bedankt sich kurz bei dem Tier und tötet es dann mit seinem Messer, damit es keine Schmerzen mehr hat. “Guter Schuss!” Kazuki lächelt mich an und macht sich dann an die Arbeit, das Tier transport bereit zu machen. Da wir noch Zeit haben, schlendern wir, mit dem Reh im Schlepptau, gemütlich durch den Wald und bleiben kurz vor einer Schlucht stehen. Der Wald endet hier. Die Aussicht ist einfach fantastisch. Man sieht weit in das Tal hinab. Die Sonne nähert sich dem Horizont und strahlt die Wolken seitlich an. Ich liebe diese Aussicht und komme so oft es geht hier her. Es ist so friedlich und schön hier. Für einen kurzen Moment kann man alle Sorgen vergessen und einfach das Leben genießen. Ich schließe die Augen, hole tief Luft und sauge alles in mich hinein. Ganz tief. Als ich wieder ausatme und langsam die Augen auf mache, bemerke ich, dass Kazuki mich grinsend anschaut. “Was?” “Nichts, nichts” schnell blickt er weg - immer noch grinsend. Angesteckt davon huscht auch mir ein Lächeln über das Gesicht und ich genieße wieder den Ausblick und die Ruhe. “Lass und weg gehen” “Hm?” Überrascht schaue ich wieder zu Kazuki. Weg gehen? “Wie meinst du das?” “So wie ich es sage” Wohin sollten wir denn gehen? Endlich haben wir hier ein Zuhause. Einen Ort, an den wir jederzeit wieder gehen können. Es herrscht wieder Stille zwischen uns. “Also was sagst du? Lass uns die Welt bereisen! Ich möchte alles sehen!” Begeistert nimmt Kazuki meine Hand und schaut mir in die Augen. Seine Augen strahlen vor tatendrang, was mich zum Lachen bringt: “Ich glaube nicht, dass Lian jetzt, wo wir endlich ein Zuhause haben, die Welt mit uns bereisen wird.” Kazuki grinst noch mehr: “Du Dummkopf! Natürlich nur wir beide!” “Nur wir beide?” Ich wiederhole seine Worte. Erst langsam wird mir bewusst, was Kazuki da sagt. “Aber Kazuki, das können wir doch nicht machen”. Immer noch sieht er mich voller Tatendrang an: “Und warum nicht? Was spricht dagegen? Wir haben beide nichts zu verlieren und wir müssen uns vor nichts und niemanden verantworten. Wir gehen einfach. Jetzt gleich!” Ich kann mich nicht von Kazukis Augen abwenden. Er ist so unbekümmert und fröhlich. Er hat schon so lange ich ihn kennen den Plan, die ganze Welt zu bereisen. “Wie kommst du gerade jetzt darauf?” “Liegt das nicht auf der Hand? Die Waisen müssen nicht mehr wandern. Wir haben ab jetzt nichts mehr zu tun. Die Älteren bekommen das Haus alleine beschützt und das Jagen werden bald Jüngere übernehmen. Und dann sind wir hier überflüssig.” Auch wenn ich es nicht zugeben will, habe ich auch schon ein paar Mal darüber nachgedacht. Langsam wird sich der Alltag einschleichen. Aufgaben werden verteilt werden. Aber habe ich mir nicht genau das immer gewünscht? Immer was zu essen, keine Sorgen mehr über den Schlafplatz machen - ein geregeltes Leben eben. Bisher habe ich so etwas noch nie gehabt. Als würde Kazuki meine Gedanken erraten lässt er mich los und schaut enttäuscht weg. “Es tut mir leid…” “Nein, schon gut, ich hätte dich damit nicht so überfallen dürfen”. Er schultert das Reh. “Wir sollten uns auf den Rückweg machen, die Sonne ist schon fast weg.” Er hat recht. Während wir geredet haben, hat sich die Sonne immer weiter dem Horizont genähert. Ein wunderschöner Sonnenuntergang ist nun von der Klippe aus zu sehen. Das orangene Licht erhellt das komplette Tal. Doch ich kann es nicht mehr genießen. Ein schlechtes Gewissen plagt mich. Kazuki hat mir schon so oft geholfen. Ohne ihn hätte ich die letzten 6 Jahre nicht überstanden. Ich weiß, dass es schon immer sein großer Traum ist, weg zu gehen. Die Welt zu sehen. Und jetzt lasse ich ihm im Stich. Ich bin wirklich alles andere als eine gute Freundin. Still gehen wir hintereinander durch den Wald in Richtung des Bauernhofes. Ich bin so in Gedanken, dass ich nicht bemerke, wie Kazuki stehen bleibt, weswegen ich gegen seinen Rücken laufe: “Au, warum bleibst du…?” Kazuki hebt seinen Zeigefinger auf die Lippen und bedeutet mir, still zu sein. Er legt das Reh behutsam auf den Boden, zieht einen Pfeil aus dem Köcher und und spannt ihn in seinem Bogen. Hat er noch ein Tier im Visier? Nein. Dafür schaut er viel zu ernst. Angespannt hole auch ich einen Pfeil aus meinem Köcher und spanne meinen Bogen. Doch wohin soll ich zielen? Als ich mich umsehe kann ich nichts ungewöhnliches entdecken. Fragen blicke ich zu meinem besten Freund, der mich aber nicht wahrzunehmen scheint. “Kazuki? Was ist denn los?” Mein Flüstern ist kaum zu hören, aber ich weiß das Kazuki mich verstanden hat. Seine Augen verengen sich. Noch immer schaut er in die Ferne. Ich versuche seinem Blick zu folgen, aber sehe nur Bäume. Langsam wird mir das zu Blöd. Auch wenn ich nicht mit auf seine Reise gehe… So eine Show abziehen muss er nicht. Ich seufze und nehme meinen Bogen runter. “Mir wird das hier zu blöd, ich gehe!” Gerade als ich meinen Bogen auf meinem Rücken habe und an Kazuki vorbei bin, schreit dieser laut auf. Seine Stimme klingt panisch: “Luana, bleib stehen!” Erschrocken von seinem Tonfall halte ich mitten in meinem Schritt inne. Keine Sekunde zu früh, denn genau in diesem Moment spüre ich einen starken Luftzug an meinem Kopf vorbei rauschen. Mit geweideten Augen sehe ich, wie sich ein Pfeil in den nächsten Baum bohrt. Wäre ich den Schritt gegangen, wäre ich nun tot. Wieder einmal hat Kazuki mir das Leben gerettet. Ohne lange zu zögern spanne ich wieder meinen Bogen und ziele in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen ist. Ein Lachen ertönt durch den Wald. Ich positioniere mich neben Kazuki. “Danke”. “Keine Ursache”. Langsam werden mehrere Menschen sichtbar. Ich zähle insgesamt 5. Scheiße! Als ich mich umdrehe sehe ich noch einmal 3. Wir sind umzingelt. Warum habe ich sie nicht bemerkt? War ich so sehr mit meinem Gewissen beschäftigt gewesen? Das Lachen wird lauter und schließlich bleibt ein Mann vor uns stehen. Ich schätze ihn auf 25. Allerdings bin ich im schätzen noch nie besonders gut gewesen. Siegessicher grinst er uns an: “Waffen runter!” Böse blicke ich hinter mich und sehe, dass auch Kazuki den Mann finster anschaut. Doch es sind zu viele. Wären es 5, hätten wir eventuell noch eine Chance, aber 8… Dem Waisenjungen neben mir scheinen die gleichen Gedanken durch den Kopf zu gehen. Ohne den Mann aus den Augen zu lassen nickt er und hält seinen Bogen Richtung Boden. “Das Mädchen auch!” Nein! Alles in mir wiederstrebt, meinen Bogen zu Boden zu halten. Kazuki klopft mit seiner Hand auf meine Schulter. Hat er einen Plan? In dieser Situation wohl eher nicht. Doch ich vertraue ihm. Auch ich lasse langsam meinen Bogen Richtung Boden fallen. “Sehr gut! Nun sag mir Junge, wie hast du uns entdeckt? Ich dachte, unsere Tarnung sei perfekt.” “Nun, das war nicht besonders schwierig. Ihr stinkt 10 Meter gegen den Wind!” Am Geruch also. Jetzt wo ich schnuppere, bemerke ich den Gestank, der von den Männern ausgeht, auch. Leider ein bisschen zu spät. Ich könnte mich für diesen Fehler selbst schlagen. “Pass auf was du sagst Junge, es könnte das Letzte sein was aus deinem Mund kommt!” Die Stimme des Mannes klingt bedrohlich. Hoffentlich hat Kazuki wirklich einen Plan… “Entwaffnet sie!” Die Männer stürmen auf uns und nehmen und Bogen und Messer ab. Dabei entgeht mir nicht, dass der Typ, der mich entwaffnet, sich sehr viel Zeit lässt und mich genaustens “untersucht”. Wut steigt in mir auf. Doch ich lasse es über mich ergehen. Immer noch sind Waffen auf uns gerichtet. Eine falsche Bewegung könnte uns das Leben kosten. Dann entdeckt er das Paket, das Ayame mir gegeben hat. “Hey Boss, ich hab was!” “Nein, das gehört mir!!” Ich versuche das Paket zurück zu bekommen, werde aber gestoßen, worauf ich das Gleichgewicht verliere und auf den Boden falle. “Luana!” Kazuki beugt sich zu mir runter: “Alles okay?” “Ja” Meine Schulter schmerzt. Der Stoß war hard gewesen. Der Mann, der mich durchsucht hat, hat das Paket inzwischen seinem Boss gegeben. Dieser zerreisst die Blätter und betrachtet die Klamotten. Es war eine schlichte Hose und ein Oberteil. “Klamotten? Typisch Weib.” Ich sehe, wie er sie in den Dreck wirft. Es tut mir leid Ayame… Der Mann der mich durchsucht hat reicht seinem Boss mein Messer, welches er mir auch abgenommen hat. “Wir haben nichts, was für euch interessant wäre.” Kazuki steht auf und schaut den Anführer direkt in die Augen. Ich bewundere ihn für seinen Mut! “Nehmt das Reh und lasst uns gehen!” “Nun, das könnte ich tun. Aber wer sagt mir, dass ihr nicht eure Waisenfreunde zu Hilfe ruft und uns verfolgt?” Vorsichtig steckt der Anführer mein Messer in den Gürtel, der an seiner Hose hängt. Ein kurzer Stich durchfährt meine Brust. Dieses Messer ist alles was ich habe! Es ist mein einziger Besitz und meine einzige Erinnerung an meine Kindheit und an… “Das werden wir nicht. Wenn ihr uns gehen lässt, sind wir euch etwas schuldig und werden euch bestimmt nicht verfolgen.” “LÜGE!” Der Mann holt aus und boxt Kazuki in den Magen. Dieser krümmt sich vor Schmerz und beugt sich vorne über. “KAZUKI!!! Schnell stehe ich auf und stelle mich vor ihn. Doch der Mann lacht mich nur aus: “Haha, als ob du was ausrichten könntest!” Dann werde ich auch schon von einer Ohrfeige getroffen, die so stark ist, das ich leicht nach hinten taumle. Ist es nun also doch so weit? Werde ich hier sterben? Die Frage schießt mir Augenblicklich durch den Kopf. Wie es wohl ist, zu sterben? So oft habe ich dabei zugesehen. Mehrmals war ich diejenige, die getötet hat. Sollte es nun auch mich erwischen? Wieder schüttle ich meinen Kopf. Wenn hier alles endet, dann nicht so! Ich richte mich auf und schaue dem Kerl, der mich geschlagen hat, herausfordernd in die Augen. Kazuki ringt hinter mir immer noch nach Luft. Der Schlag scheint wirklich gesessen zu haben… Ich stelle mir vor, wie ich vorstürme, dem Anführer mein Messer, dass er an seiner Hose trägt, entreiße und es ihm an die Kehle halte. Doch bin ich wirklich schnell genug? Oder werde ich zuvor von einem Bogenschützen erschossen. Ich bin klein und wendig. Und sehr schnell. Aber so schnell? Gerade als ich mich dazu entschlossen habe, es zu versuchen, kommt ein weiterer Mann angerannt. Außer Puste bleibt er direkt vor dem Anführer stehen. “Kiba? Was gibts?” “Ich habe den Bauernhof genauer unter die Lupe genommen. Es gibt viele Plantagen, Gärten und Tiere. Genug für uns alle!” “Wie viele Waisen?” “Ca. 25. Einige noch ziemlich jung. 10 könnten uns gefährlicher werden.” Er blickt in unsere Richtung und grinst. “Aber mit den richtigen Geiseln dürfte es kein Problem sein.” Sie wollen den Bauernhof angreifen! Als ich begreife, was er Mann da sagt, überkommt mich die Angst. Sie werden alle töten! Und Kazuki und ich werden schuld sein. Lian und Ayame würden niemals zulassen, dass uns etwas passiert. “Einer für alle und alle für einen.” So lautet das Gesetzt. Sie werden kämpfen um uns zu befreien. Sie würden nicht riskieren, dass und etwas zustößt. Das Lächeln von Ayame taucht in meinem inneren Augen auf. Nein. Ich lass nicht zu, dass ihr etwas passiert! Ich möchte vorstürmen, doch werde von Kazuki zurückgestoßen. Er stoßt sich von mir ab und beschleunigt. Scheinbar hat er den gleichen Plan wie ich. Das Messer! Der Waisenjunge wirft sich vor und schnappt sich mein Messer. Hoffnung keimt in mir auf. Er hat es geschafft! Doch bevor er noch einen weiteren Schritt machen kann, lacht der Bestohlene laut auf. “Was hast du jetzt vor, hm? Mich mit dem Messer angreifen. Wenn ich du wäre, würde ich mir das zwei mal überlegen! Oder möchtest du, dass deiner kleinen Freundin was passiert?” Er nickt den Männern hinter mir zu. Schnell drehe ich mich um: “Mach dir keine Sorgen um mich, ich komm klar!” Ich habe mehrere Jahre allein auf mich gestellt überlebt. Zwar bin ich noch nie von so vielen Männern gleichzeitig angegriffen worden, aber die letzten Jahren habe ich gelernt, mich zu verteidigen. Ich werde auf keinen Fall zulassen, das Kazuki oder Ayame wegen mir verletzt werden. Ich werde nicht kampflos sterben. Niemals!!! Noch bevor die Männer mich erreicht haben, mache ich einen Schritt nach hinten. Genau über mir ist ein Ast. Ich springe und hangle mich auf den Ast, um eine bessere Aussicht zu haben. Rechts sehe ich Kazuki, der mit dem Anführer und einem anderen Mann kämpft. Weiter hinten stehen 3 Bogenschützen, die momentan auf mich zielen. Genau unter mir stehen 3 weitere Männer, die sich auf mich stürmen wollen. Um die gesamte Situation zu erfassen habe ich nur wenige Sekunden gebraucht. Noch bevor ich den Bogenschützen ein gutes Ziel abgebe, springe ich rechts von mir auf einen Ast. Nun befinde ich mich fast über Kazuki. Dieser hat alle Mühe, sich gegen die zwei Männer zu verteidigen. Er hat keine Waffe mehr. Wo ist mein Messer? Ich schaue mich um und entdecke es zwei Meter neben dem Anführer. Ich springe vom Baum, gerade rechtzeitig um den Pfeilen, die die Bogenschützen auf mich schießen, auszuweichen. Ausgebildet sind die auf jeden Fall nicht… Ich versuche den Anführer nieder zureisen, doch dieser hat mich gesehen und weicht aus. Wacklig lande ich auf meinen zwei Beinen, richte mich sofort wieder auf und sprinte zum Messer. Meine Finger berühren den Griff. GESCHAFFT! Hinter mir höre ich Schreie. Ganz nah! Doch gerade als ich mich aufrichte, trifft mich etwas am Kopf. Ein brennender Schmerz zieht sich durch mein Gehirn und mein Gesicht. Kurz sehe ich den Vogel auf dem Griff meines Messers. Dann wird alles schwarz. |
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